Papier

Eine berechtigte Frage, deren Beantwortung über die Beschäftigung mit den Papierarbeiten auch das Verständnis für Riebers bildhauerisches Werk schärft. Schwarz, Braun, Grau, Weiß. In diesem Farbspektrum spielt sich ab, was der Bildhauer zu Papier bringt. Die Zeichnungen des Bildhauers, und eben nicht die Bildhauerzeichnungen, sind aber nicht nur Mittel zum Zweck als Ideen- oder Kompositionsskizze, sie sind neben Entwurf und Werkzeichnung auch autonome Werke. Geprägt sind die Zeichnungen – in dem Begriff kommt auch zum Ausdruck, dass „zeichnen“ begriffsgeschichtlich mit „Zeichen“ verwandt ist – stets von einem besonderen Raumbewusstsein und Aspekten plastischer Werkkonzeptionen. Sie stehen neben dem dreidimensionalen Werk des Künstlers eigenständig da, sind eine eigene Werkgruppe.

Oftmals wird in den Zeichnungen das erste Aufblitzen einer Idee, eines künstlerischen Gedankens deutlich. Und somit ist diese künstlerische Gattung Grundlage jeglicher Kunst. Soweit die Theorie, in der man Hubert Riebers Kunst durchaus verorten kann und muss. Am Anfang der künstlerischen Schöpfung steht also die Idee als einer Art innerer Zeichnung. Dieser geistige Akt äußert sich in der Zeichnung, die in ihrer Ursprünglichkeit mit der Idee eins ist. Sie ist die notwendige äußere Gestalt der Idee. Die weitere künstlerische Ausgestaltung ist da nur noch Zugabe und Vollendung. Aber die Vollendung findet bei Rieber eben nicht nur in verleimten, behauenen, geschliffenen, polierten und mit Blei beschlagenen Skulpturen statt, sondern schon in der vermeintlichen Vorstufe, der Arbeit auf und mit Papier.

Die Papierarbeiten erlauben dem Künstler mehr noch als in der Bildhauerei die wichtigen Fragestellungen, mit denen er sich schon während seiner ganzen Künstlerkarriere beschäftigt, zu thematisieren. Seine Menschenexistenzen werden unmittelbar, reduziert auf das Wesentlichste auf den Punkt respektive auf die Linie gebracht. Die Werkstoffe, die Arbeitsmittel, die Arbeitsprozesse bieten ihm idealerweise die Intensität des Blicks, die Fähigkeit zur Vereinfachung des Naturvorbilds: Die Arbeit, die Thematisierung des Individuums, entwickelt sich allein aus Umrisslinien und Flächen.

Den Rieber‘schen Figuren werden eindeutige Begrenzungen zugewiesen, die in den Skulpturen aufgrund ihrer Raumaneignung schwer realisierbar sind. Riebers Geschöpfe, die mal als Solitäre, als Paare oder als Gruppen auftreten, grenzen sich durch exakte klare Konturen ab und definieren in der Zuweisung von wenigen Linien und geometrischen Formen so ihren eigenen Erfahrungsraum. Die Zeichnung, ob sie nun mit dem Kohle-, Rötel-, Grafitstift oder mit dem Messer entsteht, betont die Linienführung und Umrisse des dargestellten Gegenstandes, der Figur, des Kopfes, der geometrischen Basis. Dabei ist die Linie als künstlerisches Mittel selbst abstrakt.

Das unterscheidet Hubert Rieber auch nicht von naturalistischen Zeichnern. Denn insofern die Zeichnung Gegenstände naturalistisch, „nach der Natur“ darstellt, reduziert der Zeichner die Natur auf das für das Auge Wesentliche der Wahrnehmung. Abstraktion und Reduktion von visuellen Informationen auf die bloße Kontur ist eine elementare intellektuelle Leistung. Deshalb gilt die Schule der Zeichnung gemeinhin auch als Grundschule des aufmerksamen und genauen Sehens. Der Strich lässt die Sache erkennen und arbeitet damit das Essenzielle einer bildlichen Darstellung heraus. Rieber nutzt in seinen Papierarbeiten die Vereinfachung als Mittel zur Konzentration auf das Bedeutende. Mit perfekten Kanten und Formen vollendet er die Verbindung aus menschlicher Figur und geometrisch abstrakten Formen. Durch diesen Prozess tritt der Mensch aus der anonymen Masse mal mehr, mal weniger deutlich heraus und zeigt sich trotz äußerster Stilisierung wieder in seiner Individualität.

Stefan Simon